Heute vor vier Jahren ist dieser Terroranschlag passiert. Es war eine einprägsame, unangenehme Erfahrung, die wir da allesamt gemacht haben – Wien und Österreich.
Damals musste ich mir diesen Gefühlssturm von der Seele schreiben. Wobei: ganz runter von der Seele hab ich diesen Abend/diese Nacht nicht schreiben können. Ich denke immer wieder daran.
Ich möchte diesen alten Text heute teilen. Verfasst habe ich ihn in den frühen Morgenstunden des 3. November 2020. Obwohl das noch nicht lange her ist, war es eine ganz andere Zeit. Sowohl in meinem Leben, als auch in der Stadt Wien, in Österreich. Ich gebe ehrlich zu, dass ich – vor allem nach der letzten Wahl – nicht mehr ganz so von uns Menschen überzeugt bin, wie ich es damals war. Aber auf’s Beste hoffen geht eigentlich immer. Oder?
Wien bleibt Wien.
Ich wohne nicht mehr in Wien, sondern knapp davor. Beinahe kann ich es von zu Hause aus sehen. Es dauert in etwa drei Zigarettenlängen um hinzugelangen. In Kette geraucht, mit dem Auto gefahren.
„Nach Wien fahren“ – so hat alles angefangen. Ich war circa acht Jahre alt. Reisekrank. Speiberei exakt bei der Spinnerin am Kreuz. An viel mehr kann ich mich nicht erinnern. Das gute Gefühl endlich da zu sein, zu meinem Leidwesen im Zweikampf mit heftigem Brechreiz. Der Brechreiz war stärker.
Das zweite Mal „Wien fahren“ war wenige Jahre später. Diesmal fuhren wir über den Grünen Berg in die Stadt ein. In der Magengrube kein Brechreiz, nur Aufregung. Ich werde es nie vergessen, das Gefühl, das ich hatte, als sich die Stadt vor mir auftat. Sich zeigte. Groß, kantig, die vielen Häuser. Bei Weitem noch nicht so bunt wie heute. Es war maximal 1992. Und ich glaube, es war Liebe auf den ersten Blick. Wien und ich, das wusste ich sofort, das kann was werden. Wir würden gut miteinander auskommen und lange beieinanderbleiben.
Heute habe ich das damalige Wien als farblos und verrußt in Erinnerung. Dennoch konnte nichts die Fülle verhüllen, die es zu bieten hatte. Das war von vornherein klar: Wien ist ein Füllhorn. So verstand ich diese Stadt für mich. Überhaupt die erste richtige Großstadt meines Lebens damals. Da wollte ich sein. Da gehörte ich hin. Also kam es so: Schule fertig machen und dann ab nach Wien. Egal was, Hauptsache Wien.
Ein Wien im Wandel, voller Leben, voller Möglichkeiten, irritierend und fremd. Und im Jahr 2000 auch noch ziemlich zugekleistert mit Hundsdrümmerl.
Eine Stadt, so hatte ich es im Gefühl, die viel verträgt, weil sie viel geben kann. Eine furchtlose Stadt, beinahe an der Grenze zur Arroganz. Ein bisschen übermütig, meistens grantig. Groß und sehr klein gleichermaßen. Am einen Tag Verbündete, am nächsten Gebieterin, annähernd strafend.
Der Wiener Wind – an sich schon fremd -, wehte mir Gerüche um die Nase: exotische Mischungen, mit Zuckerl- und Rosennote. Oder dem stechenden Beigeschmack von Urin, Krankheit, Sucht. Die Sandler waren grauslicher, die Junkies fertiger. Die Straßenbahnen noch ausgestattet mit Holzböden. Es war häufig ein durch die Stadt-Ruckeln, nicht dieses Gleiten, das wir heute kennen. Definitiv näher an den Fiakern.
Ja, Wien hat sich verändert. Ich finde, es ist erblüht. Noch mehr erblüht. Eine sehr exotische Blume, von der es sich nicht so genau sagen lässt, was sich in ihr alles vermischt hat. Klar ist nur, dass ihre Schönheit von eben dieser vielfältigen Mischung lebt.
Der Donaukanal in lauen Sommernächten, das Gewusel auf der Mariahilfer. Buntes Herbstlaub am Hameau, tausend verschiedene Gerüche am Naschmarkt und fast immer Frühstück in der Brunnengasse. Rund um die Ottakringer Brauerei wehte mir neben dem herben Brauereigeruch der Schokoduft von Manner-Seiten um die Nase. Die Schönheit und Erhabenheit von Hietzing, der Glanz des ersten Bezirks. Pferdemist. Halligalli und Anspruch in jeder Hinsicht. Ach Wien.
Was ist das bloß? Man hat dich angegriffen, man hat dich verwundet. Man hat gestern Menschen ermordet. Aus Hass, aus Verblendung, aus … ich weiß es auch nicht. Es tut weh. Ich fühle mich persönlich getroffen, ich bin zutiefst erschüttert.
Diese großartige, grantige Stadt zum Schauplatz eines so fürchterlichen Szenarios zu machen, das ist erschütternd.
Nicht falsch verstehen: fassungslos war ich auch bei den Nachrichten aus Nizza, Paris, Brüssel, London … Aber dann sitzt man da und sieht in der Berichterstattung die Orte, da man wie seine Westentasche kennt. Und liebt. Die man als sein zu Hause versteht.
Es ist surreal. Das Blut, die Schüsse, das Blaulicht, der Aufruhr … Das Blut. Menschen sind gestorben. Töchter, Brüder, Nachbarn, Vertraute, Mitmenschen von jemandem. Mitmenschen von uns! Ganz, ganz nahe an uns dran. Das macht mich betroffen. Das hat mich getroffen.
Gleichzeitig bin ich auch beeindruckt: die Polizei, blitzschnell und effizient. Die Rettungskräfte, mit Sicherheit schon gebeutelt in diesem eigenartigen Jahr. Wie alles in einander greift, um Hilfe zu leisten. Wie besonnen viele Menschen sich äußern, wie geistesgegenwärtig viele sind. Und wie wienerisch. „Schleich di, du Oaschloch!“, soll einer aus einem Fenster heraus dem Attentäter zugerufen haben. Was liebe ich diese Stadt! (Das trieb damals Blüten, wie dieser Wien heute-Beitrag schön zeigt.)
Eine bunte, verrückte und anstrengende Stadt, der ihre Vielfalt oft zwider ist, die mit ihrer Angst vorm Identitätsverlust ringt. Für die dieses Ringen aber doch immer wieder zu einem Walzer wird. Weil Wien nur deshalb so sein kann, wie es ist, weil es ständig von großer Veränderung durchströmt wird. Weil es so oft dem Fremden ins Gesicht schauen muss. Das war immer schon so. Das liegt allein schon an der geografischen Lage. Ich glaube so sehr an diese Stadt: ich baue auf den Grant, auf den Trotz. Ich baue auf die vielen großen Herzen. Ich weiß, das Wien das kann. Wir alle werden langsam und beständig verarbeiten, was hier passiert ist. Wir werden es gemeinsam tun. Meistens nebeneinander, aber auch oft miteinander.
Ja, Menschen werden wütend sein, auf die „Kopftiachl“, auf die Zugezogenen. Aber es wird uns nicht auffressen, es wird uns nicht spalten und in Kleinteile aufbröseln. Nein, das wird es nicht. Das kann es nicht, weil Wien so nicht ist!
Ich bin mittlerweile Mutter. Ich habe meine kleine Tochter heute Nacht im Schlaf festgehalten. Vielleicht habe ich mich auch ein bisschen an ihr festgehalten. Zu sagen, dass ich Angst hatte, ist keine Übertreibung. Aber ich weiß es einfach: wir werden uns davon nicht verbiegen lassen. Stur und stolz, so bleiben wir.
Das goldene Wiener Herz, das gibt es nämlich wirklich. Und wie jeder ordentliche Schatz, liegt es nicht einfach so herum. Man muss daran glauben und man muss es finden wollen, dann wird man auch belohnt. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Die Stärke der Wiener Identität liegt in ihren vielen Identitäten, die oft perfekt ineinander greifen, wie Zahnräder in einer leise schnurrenden Uhr.
Diese Stärke kann man nicht einfach wegpusten, oder mit Blut besudeln. Wien ist eine Stadt der Freiheit, in ihrer grundsätzlichen Unerschütterlichkeit hat sie manchmal schon etwas beinahe Gnadenloses.
Wien ist stark und wird heilen. Wien wird sich nicht beugen.
Trauern ja. Auch kurz im Schmerz verweilen. Ihn aufnehmen, bis er ein Teil der Stadt geworden sein wird, der zum gemeinsamen Weitermachen beiträgt. Das kann diese Stadt gut. Das kann das ganze Land. Da bin ich mir sicher.
Nachtrag:
Ich weiß, dass die Unzufriedenheit unter den Menschen, unter den Wiener:Innen derzeit immer wieder sehr groß ist. Und oftmals auch berechtigt. Auf folgendes hoffe ich aber sehr: nämlich, dass Helmut Qualtinger recht hatte, als er sagte:
“Das Problem für jeden Wiener: Man kann es in Wien nicht mehr aushalten, aber woanders auch nicht.”
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